Perspektiven



Heute habe ich etwas sehr Mutiges getan. Oder Dummes. Das wird sich noch herausstellen. Ich tippte ein paar Zeilen in das E-Mail-Programm in meinem PC, wütende Zeilen im Versuch sie nicht ganz so wütend zu formulieren. Mein Herz pochte. Vor Aufregung. Vor Anspannung. Vor Angst darauf, was da kommen mag. Vor Wut natürlich auch. Dann war alles gesagt. Viel mehr, als ich mich jemals getraut hatte von Angesicht zu Angesicht zu sagen. Mein Maus-Cursor nähert sich dem „Senden“-Button. Das Herz schlug noch stärker. Noch zweimal ... babumm… babummm..., dann ein Klick und die Entscheidung war amtlich. Das Pochen des Herzens verebbte nur langsam, mit ihm aber auch die Anspannung. Die Zwänge. Das Unwohlsein. Das Gefühl, etwas in meinem Leben ändern zu müssen.



Doch von Anfang: alles fing mit vier Ereignissen an, die so unterschiedlicher nicht sein konnten:

1. Zahnprobleme (hier berichtet)

2. Ein Gespräch mit meinem Chef

3. Brustkrebsdiagnose einer Bekannten, die jünger ist als ich

4. Der entspannte Umgang einer Mutter beim morgendlichen Kita-Abgeben



Was hat das miteinander zu tun, mögt ihr Euch fragen. Für mich sehr viel. Denn genau diese Ereignisse stellen meine derzeitige Situation in Frage. Ich versuche einmal meine Gedanken zu sortieren.


Die Zahnprobleme haben mir deutlich gemacht, dass ich auch nicht jünger werde. Älter werden ist völlig in Ordnung, solange man glücklich ist, mit dem, was man bislang erreicht hat, mit dem, was man macht. Ist meine Meinung. Das Problem: ich bin es nicht. Mein Job bereitet mir zunehmend weniger Freude und ich frage mich, ob ich nicht andere Interessen zum Beruf machen kann. Ob ich nicht Geld mit etwas verdienen kann, das mich WIRKLICH interessiert, mich fesselt. Ob ich nicht etwas tun kann, das mich intrinsisch motiviert, wie es so schön heißt. Denn das tut meine derzeitige Arbeit nicht. In einem Gespräch letzte Woche und einer E-Mail heute kam heraus, dass mein Chef und ich andere Zielvorstellungen haben. Ich habe dazu meine Konsequenzen gezogen und diese dem Chef heute per Mail mitgeteilt.

Zu diesen Gedanken gesellte sich dann die Botschaft einer Bekannten, die mir ihre Brustkrebsdiagnose mitteilte. Sie ist jünger als ich. Sie tut mir unendlich leid. Gleichzeitig denke ich, dass ich diejenige sein könnte, die genau diese Worte ausspricht. Diese Endlichkeit unseres Daseins. Es war wieder ganz nah.

Und schließlich komplettierte die entspannte Mutter mein Wirrwarr im Kopf. Wieso machte es mich so baff, dass sie diese Ruhe ausstrahlte? Mit einem leichten Lächeln beobachtete sie ihre Tochter auf dem Weg zum Kindergarten, wie sie in aller Seelenruhe die Steine am Wegesrand begutachte oder das Gras zupfte. Das Kind konnte entspannt in den Tag starten, begleitet von einer ausgeglichenen, gelassenen Mutter. Und ich? Ich hetze. Ich hetze mit meinem Kind in den Kindergarten, ich hetze auf Arbeit, ich hetze wieder in den Kindergarten. Mein Kind bekommt das natürlich mit. Es merkt, wenn ich Druck mache, wenn die Zeit besonders knapp ist. Dann scheint sie extra langsam zu machen oder in der Kita an der Tür besonders lange an meinem Bein zu hängen. Natürlich spürt sie es und es tut ihr sicherlich nicht gut. Ganz zu Schweigen davon, dass es auch mir nicht gut tut.



Ich fange an den Sinn des Lebens, nein besser: MEIN Sinn des Leben zu hinterfragen. Teilweise habe ich diesen Sinn bereits gefüllt, mit meiner Familie. Mein Freund und mein Kind bereichern mein Leben, erfüllen es überhaupt erst mit Leben. Aber in anderen Bereichen habe ich diesen Sinn noch nicht gefunden. Und ich frage mich: wo will ich hin? Was will ich erreichen?

Ich weiß, es klingt stark nach Midlife-Crisis. Aber wenn nicht jetzt, wann soll ich sonst mein Leben umkrempeln? Irgendwann ist man zu alt, um nochmal eine neue berufliche Richtung einzuschlagen.

Wo genau es hingehen soll, weiß ich nicht. Aber sicherlich werden wir den Ortswechsel vornehmen, von dem mein Freund und ich schon so lange sprechen. Denn auch dafür wird man irgendwann zu alt, zu träge.



Ich bin aufgeregt. Ich bin hibbelig. Ich habe Angst. Aber ich habe auch eine Familie, die hinter mir steht. Wir schaffen das.

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