"Aber ich möchte das!" - Vom Bedürfniserfüllen zum Verwöhnen

Durch Fernsehen verwöhnt?
Eine Mutter hat ein 1 1/2-jähriges Kind im Kinderwagen dabei. Noch sitzt es ganz friedlich da, doch der Friede währt nur kurz. Schon bald quietscht sie ungeduldig herum, möchte sich nach vorne setzen, dorthin, wo die große Schwester sitzt, wenn sie gemeinsam im Kinderwagen fahren. Die Mutter gewährt. Bereits ein paar Sekunden später ist der Platz doch nicht mehr der Richtige. Sie will wieder nach hinten. Die Mutter eilt zu Hilfe. Dann hat sie Hunger. Sie will eine Reiswaffel. Doch die Reiswaffel, die die Mutter hinhält, ist nicht gut genug. Sie nimmt eine Neue, beißt einmal hinein und schmeißt sie auf den Gehweg. Wieder soll eine Neue her. Die Mutter hält ihr die ganze Tüte hin und das Kind entreißt ihr selbige. Das Reiswaffelmassaker beginnt. Jedoch ist das Kind schon nach wenigen Minuten wieder gelangweilt. Der ganze Beutel fliegt nach unten und der Quengelton setzt erneut ein.


So hatte sich letztens eine Szene zugetragen, als ich eine Mutter mit ihrem Kind ein Stück begleiten durfte. Die Mutter versuchte jeden Wunsch von den Lippen ihres Kindes abzulesen, war sofort zur Stelle, als sie etwas wollte und sagte zu allem, was sie dann zu wollen glaubte, ´ja`. Das hat mich nachdenktlich gemacht. Denn ich hätte an ihrer Stelle ganz anders reagiert. Klar hätte ich sie auch mal Vorne sitzen lassen. Aber das Hin- und Her hätte ich nicht geduldet. Klar hätte ich ihr eine Reiswaffel gegeben. Aber eine Neue hätte ich ihr verwehrt, weil sie die erste auf den Boden geworfen hat. Die Mutter meinte an diesem Tag zu mir, das Kind wäre im ersten Jahr ganz pflegeleicht gewesen. Dieses Gejammere und Fordernde wäre erst aufgekommen, als sie etwa ein Jahr alt war. Unwillkürlich kommt mir der Spruch in den Sinn "Man kann sein Kind im ersten Jahr nicht verwöhnen". Denn das heißt für mich im Umkehrschluss: "Wenn es ein Jahr alt ist muss man aufpassen, dass man es nicht verwöhnt." Und genau das war aus meiner Sicht hier passiert. 
Im Babyalter wird das Stillen nach Bedarf proklamiert. Und auch sonst sollten Eltern bei ihren Babys sofort springen, wenn sie pupsen, kacken, meckern oder schreien. Doch was geschieht, wenn Eltern dieses Verhalten über die Babyzeit hinaus zeigen?

Was der gute Jesper Juul dazu sagt

Später las ich ein Buch von Jesper Juul, "Das Familienhaus", in welchem ich ein sehr passendes Zitat fand:

"Es verliert die Fähigkeit, sich zu freuen und zu warten. Vor allem gewöhnt es sich daran, dass jeder Wunsch sofort befriedigt wird. Es ist ein naheligender Gedanke, dass solche Kinder später dazu neigen werden, ihre Frustration mit Alkohol, Drogen oder Medikamenten zu betäuben. Heutzutage werden Kinder vor jeder Art von Entbehrung, Schmerz und Frustration bewahrt. Sie leben wie Teletubbies. Wenn man auf diese Art aufwächst, fühlt man sich natürlich hilflos und verloren oder sucht die Extreme, um zu sprüren, dass man lebt." (S. 23)

Der schmale Grad zwischen Bedürfniserfüllung und Verwöhnen

Jetzt mal im ernst. Das was Jesper Juul so sagt, klingt ja immer plausibel. Doch das Problem an der Sache ist, dass in jeder Situation, in jeder Familie, bei jeder Person die Dinge anders ausgelegt werden können. Jede Mutter, jeder Vater hat seine eigenen Grenzen, die es dem Kind weitervermitteln will. Die eine Mutter verteilt erst gar keine Reiswaffeln, die andere Mutter ist bei der Nahrungsaufnahme vielleicht etwas freigiebiger. Jeder sieht das anders. Wichtig ist eben, dass man seine eigenen Werte dem Kind vermittelt. Nur so kann es lernen diese zu erkennen, zu respektieren und selbst herauszubilden. 

Aus meiner Sicht muss man zwei Dinge unterscheiden: das eine ist Geborgenheit und Sicherheit geben. Das kann eine Mutter (oder Vater) nie genug. Nur so kann eine tiefe Beziehung zum Kind aufgebaut werden. Dazu gehört eben das Stillen, das Tragen, das Kuscheln.
Die andere Seite ist die Erfüllung von Bedürfnissen, die über diese Grundbedürfnisse hinaus gehen. Ich bin der Meinung, dass eben dann, wenn diese "Luxusbedürfnisse" immer bedient werden, man den Anspruch an eine Bedürfniserfüllung entsprechend hoch setzt. Auf diese Weise werden Kinder maßlos, weil sie selber nicht mehr ihre eigenen, tatsächlichen Bedürfnisse einschätzen können. Zumindest ist das meine Interpretation.

 

Was das mit uns zu tun hat

Und nun versuche ich mal noch den Bogen zu uns zu spannen...
Unser Wölkchen erhält derzeit das volle Programm an Zuwendung. Sie wird nach Bedarf gestillt. Sie pupst und ich wickle, sie meckert und ich versuche sie zu beruhigen. Sie darf das bekommen, was sie möchte: Nähe, Zuwendung, Milch. 
Auch Wirbelwind erhält diese Zuwendung, aber eben anders. Wir kuscheln auf dem Sofa, sie erhält Frühstück, Mittagessen und Abendbrot. Und da kann sie essen, was sie möchte. Nur für das Naschen, was ja quasi ein Luxusbdürfnis ist, gibt es klare Regeln: einmal am Vormittag und einmal am Nachmittag ist erlaubt. Abends wird nicht mehr genascht. Zudem Luxus ist aus meiner Sicht mit dem Handy zu spielen oder Fernzusehen. Auch hier hat sie nicht uneingeschränkten Zugriff. Ferngesehen wird nicht vor 18 Uhr. 

Grenzen testen

Doch obwohl dies bei uns immer klar kommuniziert wird, versucht Wirbelwind zu testen, wie weit sie gehen kann. Immer wieder fängt sie den Satz an "Mama, darf ich..." und überlegt dann, was sie diesmal einfügt. Häufig ist es "...fernsehen", wenn es noch deutlich zu früh ist oder "...naschen", wenn es schon deutlich zu spät ist. Es ist, als ob sie nur darauf wartet von uns ein ´Nein` zu hören. Und wir erklären ihr dann immer wieder, warum das nicht geht. Dass wir gerne statt fernzusehen etwas zusammen spielen können oder dass es gleich Abendbrot gibt. Man kann dann darauf wetten, dass sie daraufhin die Floskel "Aber ich möchte das!" in einem meckernden Ton von sich gibt.
Und in genau diesem Moment frage ich mich: habe ich sie vielleicht an anderer Stelle zu sehr verwöhnt? Ist die tägliche Nascherei am Nachmittag (Gummibärchen, oder etwas vom Bäcker, oder Eis) zu viel? Lasse ich ihr im Alltag zu viel Freiräume, dass sie diese auch auf andere Situationen überträgt?
Der Papa ist da deutlich rigoroser. Manchmal finde ich es zu viel des Guten, da würde ich unserem Wirbelwind gerne mehr Freiheiten gewähren, als er es tut. In anderen Situationen habe ich von ihm gelernt, dass auch ein ´Nein` nicht schlimm sein kann. Wenn sie beispielsweise UNBEDINGT einen Luftballon haben möchte und ich schon das Portemonaie zücke, dann sagt der Papa "Nein" und unser Wirbelwind "ok" und geht weiter. Ich stehe dann perplex da, packe die Geldbörse wieder ein und frage mich einmal mehr, was hier gerade passiert ist. 

Es heißt immer so schön: die Kinder testen unsere Grenzen aus. Aber vielleicht sollten wir Eltern auch mal die Grenzen unserer Kinder besser kennenlernen. Ich für meinen Teil lerne täglich dazu.

Welche "Luxusbedürfnisse" gewährt Ihr Euren Kindern? Wo sind Eure Verwöhn-Grenzen?

Eure Wiebke


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